Der Neckarsteig als sportliche Herausforderung

Triathleten haben es derzeit nicht leicht. Andreas Stähle vom SV Nikar in Heidelberg hat aus Ermangelung von Laufveranstaltungen den Neckarsteig als seine persönliche Herausforderung gemacht: Ein ganz persönlicher Erfahrungsbericht den er mit all seinen Eindrücken beschreibt.

Ein Wanderweg als sportliche Herausforderung?

Aufgewachsen in Heidelberg habe ich das große Glück, nur wenige Schritte entfernt von einer der berühmtesten Ruinen der Welt zu wohnen, dem Heidelberger Schloss. Als Läufer und Mountainbiker und ehemaliger Leistungssportler erkunde ich nach wie vor den Odenwald entlang beider Seiten des Neckars. So endet auch, einen Steinwurf entfernt von meiner Wohnung, die berüchtigte Himmelsleiter, eine Naturdirettissima, die am Königsstuhl ihr Ziel erreicht und den Einstieg zum Neckarsteig markiert. Dieser Wanderweg mit seinen blauen „N“ Markierungen ist mir schon lange bekannt. In Teilen hatte ich ihn auch schon erlaufen und mit dem Mountainbike befahren. Den Neckarsteig komplett zu laufen, von Bad Wimpfen bis Heidelberg, Nonstop, auf diese Idee kam ich bisher noch nicht wirklich.

2020 – Das Jahr ohne (sportliche?) Veranstaltungen

Ich bin seit mehr als 30 Jahren Langstreckenläufer und Triathlet und hatte mich im Herbst 2019 für eine neue sportliche  Herausforderung angemeldet, den Zugspitztrail, einen 100-Kilometer-Lauf rund um Deutschlands höchsten Berg, der am 20.06.2020 stattfinden sollte. Mein sportliches Highlight dieses Jahr, für das ich bereits im Winter viele abendliche Kilometer gesammelt habe. Mit oder ohne Stirnlampe, bei Regen oder Schnee. Was macht man nun mit der antrainierten Form, wenn ein hartnäckiges Virus sämtliche sportlichen Veranstaltungen ausbremst? Warum nicht einen der schönsten deutschen Wanderwege erobern, direkt vor der eigenen Haustür? Von Bad Wimpfen bis Heidelberg. Laufend. An einem Stück.

20.06.20 Sommeranfang, Sommersonnenwende, längster Tag des Jahres

Der Wecker ist auf 3:00 Uhr gestellt. Mit dem Auto nach Bad Wimpfen, einen Kaffee in der Hand. Der Parkplatz direkt am Startpunkt, dem S-Bahnhof, ist perfekt. Noch schnell eine Banane vertilgen, 4:30 Uhr, es geht los. Im ersten Dämmerlicht laufe ich am Neckar entlang. Ich habe leichte Kopfschmerzen, fühle mich sonst aber gut und freue mich auf den langen Tag. Die noch kühle Luft hilft meinem Kopf, wach zu werden, leider gefällt diese Morgenstimmung auch unzähligen Schnaken, die das Neckarufer unsicher machen. In Heinsheim, nach guten 5km, geht es dann zum ersten Mal den Berg hoch. Meine Beine fühlen sich gut an und ich laufe über einen wunderschönen Wiesenweg. Vor mir springt ein Fuchs in die Wiese, seine Beute im Visier. Dann plötzlich das erste Highlight des Tages: Ich bin mir sicher, einen Luchs im Dämmerlicht in einigen Metern Entfernung vor mir zu haben. Viel zu groß für eine Haus- oder Wildkatze, langbeinig und beeindruckend steht er für eine kurze Zeit auf dem Weg, gerade lange genug dass ich anhalten und das Tier bestaunen kann. Dann verschwindet es geräuschlos in der Dämmerung. Ich bin schwer beeindruckt.

An dem verwitterten jüdischen Friedhof von Heinsheim vorbei, ruhig gelegen im Morgenlicht, laufe ich in den Wald. Ich passiere Burg Guttenberg, wo der Steig noch relativ flach ist. Die Landschaft ist offen, Weinreben und sanfte Hügel. In Hassmersheim überquere ich gegen 6:00 Uhr zum ersten Mal den Neckar, ich habe ein gutes Dauerlauftempo.

Burg Hornberg bietet mir um 7:00 Uhr morgens einen wunderschönen Blick ins Neckartal. Zeit für ein erstes Selfie. Die Landschaft bleibt hügelig, erste Trailabschnitte machen Spaß, allerdings muss ich mich zügeln, im ganzen Stück zuhause ankommen ist mein Ziel. Der Neckarsteig hält noch viele schöne Ecken und Sehenswürdigkeiten bereit, die ich genießen will. Bloß nicht zu schnell laufen, ich mache hier keinen Wettkampf.

Mosbach, Markttag. Ich fühle mich etwas fehl am Platz mit auf dem Rücken geschnallten Trailstöcken und verschwitzten Laufklamotten zwischen den ganzen Menschen, die ihre samstäglichen Einkäufe machen. Ich muss über mich selbst schmunzeln. Schnell raus aus dem Städtchen und rein in die kleinen Trails, die mich bergauf führen. Hier fühle ich mich wohl.

Die Waldabschnitte werden länger und ich nähere mich der Margaretenschlucht. Ein echtes Highlight. Steil, mit Seilen gesichert, steinig und landschaftlich einfach wunderschön. Hier zu laufen fordert mich, ich lasse mir Zeit und mache Fotos. Bloß nicht ausrutschen auf nassen Steinen. Es ist halb zehn. Es folgt ein längerer Panoramaweg mit freiem Blick ins Neckartal dann runter nach Neckargerach und über die Brücke nach Guttenbach.

 Die zweite Neckarüberquerung für heute. Guttenbach, ein hübsches Dorf am Fluss entdecke ich an diesem Tag zum ersten Mal für mich. Hier sammle ich ungewollt ein paar Extrakilometer in der Sonne. Ich übersehe eine Abzweigung, bin im flotteren Laufmodus und vermisse nach ca. 1,5 km die blauen „N“ Markierungen. Also umdrehen. Es wird heiß, die Sonne knallt und ich verlasse den Neckar bergauf Richtung Neunkirchen. Ich hoffe auf einen Brunnen, da ich meine beiden Flaschen bereits geleert habe. Mein Laufrhythmus ist ganz gut, das Mantra heißt „bloss nicht anstrengen“. Der Brunnen kommt. In Neckarkatzenbach. Hier war ich noch nie, könnte man Urlaub machen. Aber erstmal weiter joggen. Nach Neckarkatzenbach wechselt die Landschaft ihr Bild.

Zwischen Wiesen und Waldabschnitten gewinne ich wieder ganz neue Eindrücke. Ich freue mich auf die erste Verpflegungsstation an der Brücke bei Rockenau, wo meine Freunde Uta und Ame mich erwarten. Voller Vorfreude laufe ich auf einem fast schon alpin anmutenden Trail, der mich an Burg Stolzeneck vorbei bergab führt. Dann endlich am Neckar eine erste kurze Pause. Hinsetzen, trinken, was Salziges essen, dazu frische Melone, nach den vielen süßen Powergels eine leckere Alternative. Halbzeit. Es ist ungefähr 13 Uhr.

 

Andere Neckarseite, andere Landschaft.

Nach Rockenau überquere ich wieder den Neckar und die Bundesstraße. Ein langer Aufstieg erwartet mich. Wunderbare Trails durch den Wald bringen mich zur Teufelskanzel, wieder ein toller Ausblick ins Neckartal. Auf den Obstwiesen des Breitensteins erwartet mich eine Schafherde, ich unterbreche gerne den Laufrhytmus da die Tiere beschlossen haben, den Weg zu besetzen. Eine schöne Abwechslung. Jetzt lasse ich es bergab ein bisschen laufen, die Beine tun schon etwas weh und ich freue mich auf Eberbach, wo mich frische Verpflegung erwartet. Ich brauche eine kalte Cola!
Nach 85 km, es ist mittlerweile früher Nachmittag, geht es wieder steil bergauf in den Wald. Schattige Schotterwege lassen mich ein wenig flotter werden. Dann ein langer wilder Trail bergab Richtung Hirschhorn, bloss nicht über die eigenen Füße stolpern, oder über eine Wurzel, bin keine 20 mehr.

 Die Oberschenkel sind müde. Ich laufe durch das Hirschhorner Schloß, romantisch gelegen über dem Neckar. Ich freue mich über den tollen Blick auf die Altstadt, weniger freue ich mich über die vielen Treppenstufen bergab. Anspruchsvoll. Ich muss aufpassen. In der Altstadt kann ich meine Flaschen an einem kühlen Brunnen auffüllen, bevor es wieder steil bergauf geht.

Die Steigung zieht sich, langsam spüre ich die Erschöpfung, an die schmerzenden Beine habe ich mich gewöhnt, es geht über Schotterwege durch den sonnigen Wald, nicht zu steil, gut zu laufen. Auf dem Parkplatz oberhalb von Grein gibt es die nächste Verpflegungsstation. Ich schlürfe ein bisschen Suppe, allerdings meldet sich langsam der Magen. Salzwasser ja, Nudeln eher weniger. Und immer wieder Cola. Die Uhr zeigt 100 Kilometer. Exakt. Das „Wieder Loslaufen“ fällt schwer, mittlerweile tut alles weh. Meine Gedanken beginnen abzuschweifen. So eine lange Strecke bin ich noch nie gelaufen. Wieder geht es bergab nach Neckarsteinach. Ein teilweise recht steiler Trail, die Müdigkeit in Muskulatur und Kopf macht sich jetzt bemerkbar und verlangt erhöhte Vorsicht.

Ich laufe vorbei am hohen Darsberg, einer fast schon übertrieben herausgeputzten idyllischen Hotelanlage. Der Rasen erinnert an einen Golfplatz, für mich nach den vielen Natureindrücken eher fehl am Platz. Nach dem langen Downhillabschnitt geht es über eine der vier Burgen in Neckarsteinach berghoch und wieder runter ins Neckartal. Auf der anderen Flussseite wartet schon der harte Anstieg zum Dilsberg. Es ist mittleweile 19 Uhr, ich bin ziemlich erschöpft und kann die wunderbaren Serpentinen hoch zur Festung nicht mehr wirklich genießen. Ich muss meine Motivation hochhalten, nach ca. 14 Stunden Dauerlauf gar nicht so einfach. Nachdem es steil bergab durch den Ort geht erwartet mich ein langer, ebenso steiler und anspruchsvoller Trail berghoch durch den Neckargemünder Stadtwald. Hier kann ich an einem kalten Brunnen noch einmal Wasser tanken.

Langsam denke ich ans Ziel

Am Neckargemünder Friedhof bin ich sehr müde und will meinen beiden Helfern, die mich dort noch einmal mit Koffeinbrause erwarten nur noch einsilbig antworten. Der längste Anstieg und der höchste Punkt der Strecke erwarten mich. Mein Hausberg, der Königstuhl. Zum Glück kenne ich hier jeden Schritt und weiß was mich erwartet. Die Sonne steht sehr tief, eine Ankunft bei Tageslicht im Schloss werde ich nicht mehr schaffen aber die Abendstimmung im Wald ist traumhaft und spornt mich nochmal an. Es geht nun ausschließlich über steinige Trails steil berghoch. Anspruchsvoll und kräftezehrend. Mittlerweile bin an meine Grenzen angelangt und will nur noch auf dem Gipfel ankommen. Zur Entschädigung erwartet mich ein unglaublicher Sonnenuntergang in der Rheinebene. Es ist Abend und ein langer Tag geht zu Ende. Die Sonne versinkt hinter den Pfälzer Bergen, ich weiß, dass ich es geschafft habe. Jetzt nur noch im Licht der Stirnlampe die Himmelsleiter runter.

Der langsamste Streckenabschnitt, Ich torkle mehr oder weniger die  Natursteintreppe hinunter. Auf diesem allerletzten Abschnitt begleitet mich mein Freund Ame, der mir am Königstuhl entgegen läuft. Ich bin dankbar für die Begleitung , kann auf seine Berichte aber nicht wirklich eingehen, antworte einsilbig, denke daran, mich endlich hinzusetzen. Mein Kopf ist müde. Der Rest sowieso. Noch niemals war ich hier so langsam und ich kenne seit Jahren jede Stufe. Geschafft, jetzt noch ein Endspurt in den Schlossgarten. Am Elisabethentor warten meine Freunde. Ich bin völlig alle aber emotional sehr aufgewühlt. Noch nie hat ein kaltes Bier, das mir meine Freunde reichen, so gut geschmeckt. Was für ein unglaublicher Tag.

131 Kilometer, aber die letzten 300 Meter bis nach Hause unter die Dusche sind die härtesten des Tages …

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